Was ist Zen ?
Zen-Historie von SoGen
Eine Geschichte des Zen zu schreiben, ist eigentlich ein absurdes Unterfangen – Zen ist
seinem Wesen nach geschichtslos. Aber Zen hat auch die Form eines kulturgeschichtlichen
Phänomens – und dieser Aspekt lässt sich durchaus beschreiben. Welchen Wert eine solche
Beschreibung hat, ist eine Frage, die der Leser für sich selbst entscheiden muss.
Bei dem, was sich beschreiben lässt, habe ich mich auf die Oberfläche beschränkt. Eine
geistesgeschichtliche Analyse und Bewertung konnte und wollte ich nicht leisten – und so ist
der folgende Text kaum mehr als eine Aneinanderreihung von Namen und Jahreszahlen.
Auf Fußnoten mit Verweisen auf Belegstellen habe ich aus Bequemlichkeit und im Interesse
besserer Lesbarkeit verzichtet – nicht, um den Eindruck einer eigenständigen Leistung
erwecken. Ich erlaube mir, hier stellvertretend lediglich meine wichtigsten Quellen zu
nennen: Heinrich Dumoulins ausgezeichnete „Geschichte des Zen-Buddhismus“ (deren
Neuauflage seit Jahren überfällig ist) und „The History and Development of Korean
Buddhism: A Brief Overview“ von A. Charles Muller.
Ihnen und den anderen Quellen, aus denen ich geschöpft habe, gebührt der Verdienst –
wenn denn diese Arbeit in irgendeiner Hinsicht verdienstvoll ist. Ich erhebe lediglich
Anspruch auf die Fehler, die dieser Text zweifellos enthält.
0. Vorbemerkung
1. Vorgeschichte
Als Buddha einst auf dem Geierberg weilte, da hob er mit den Fingern eine Blume empor und
zeigte sie der versammelten Schar. Damals schwiegen alle. Nur der ehrwürdige Kashyapa
verzog sein Gesicht zu einem Lächeln. Da sprach der Erhabene: „Das wahre Dharma-Auge,
den wunderbaren Geist des Nirvana, die formlose wahre Form, das geheimnisvolle Dharma-
Tor, das nicht auf Worten und Buchstaben beruht, eine besondere Überlieferung außerhalb der
Schriften, vertraue ich dem Mahakashyapa an“.
So schildert das Mumonkan, eine klassische Sammlung von Koan (Zen-Anekdoten), den
Ursprung der Zen-Überlieferung – einer Überlieferung ohne Worte. Alle Worte (und im Laufe
der Jahrhunderte wurden viele Worte um und über Zen gemacht) dienen nur dazu, auf dieses
unnennbare, wahre Dharma-Auge hinzuweisen.
Auf den ‚ersten Patriarchen’ Mahakashyapa folgten 26 weitere als Nachfolger, darunter so
bekannte Namen wie Ashvagosa, Nagarjuna und Vasubhandu, bis schließlich Bodhidharma,
der 28. Patriarch, im Jahre 520 von Südindien nach China kam, um der erste chinesische
Patriarch des Zen (chinesisch Ch’an) zu werden.
Bodhidharma (460?-534?) wird als der eigentliche Gründer des Zen angesehen, und es gibt
eine Unzahl von Legenden über ihn. Für den nüchternen Historiker ist er allerdings eine kaum
greifbare Gestalt, manche bestreiten gar vollends seine Historizität. Die Wissenschaft führt
heute die Entstehung der Ch’an-Schule eher auf eine Reformationsbewegung innerhalb des
chinesischen Buddhismus zurück als auf eine einzelne Gründergestalt.
Offensichtlich richtete sich diese Reformation gegen eine in leeren Ritualen und intellektuellen
Studien erstarrte Religion, wobei das Schwergewicht auf meditative Praxis gelegt wurde –
‚Ch’an’ bzw. das japanische ‚Zen’ sind jeweils die einheimische Aussprache des Sanskrit-Wortes
‚Dhyana’, meditative Versenkung. Buddhistische Meditation war in China durchaus nichts
Neues - es gab berühmte Meditationsmeister wie An Shih-kao (um 150), Tao-an (312-385)
und Hui-yüan (334-416) – doch in ihrer radikalen Ausrichtung auf die Erfahrung der
Erleuchtung und in den angewandten ‚Techniken’, in ihrem ‚Lehrstil’, war die Ch’an-Schule
etwas Besonderes.